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Predigt zum Tag der Menschenwürdigen Arbeit, Diakon Bernd-Günter Barwitzki

Predigt: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. / Einer trage des anderen Last.

Liebe Gemeinde,

In Zeit.de war folgendes zu lesen: „ein Paketzusteller erzählt: „Ich mache Marathontraining, hebe Gewichte. Aber mit den Paketen im Arm ist alles ganz anders. Und das bei weit über 100 Stopps am Tag. Die Arbeit als Paketauslieferer im Dauerlauf und Dauerstress hat mich an meine Grenzen gebracht. Obwohl ich durchtrainiert bin und harte Arbeit kenne. Ich schäme mich fast, darüber mehr als einen Satz zu verlieren. Denn die Männer und die wenigen Frauen, die sich diesen Job antun, ertragen in den Monaten und Jahren, in denen sie durchhalten, ein Vielfaches. Dahinter verblasst meine Erschöpfung, sie wird nichtig. Denn was mir die Kollegen in dieser Zeit berichtet haben, welche Zerstörung an Leib und Seele diese Arbeit für sie gebracht hat – ich hatte geglaubt, so etwas gäbe es seit dem Frühkapitalismus nicht mehr, und wenn, dann auf anderen Kontinenten, die wir “Dritte Welt” nennen“. [www.zeit.de; 31.Mai 2021]

Der Paketzusteller will gar nicht nachrechnen, auf welchen Stundensatz er kommt. “Dann hab‘ ich überhaupt keinen Bock mehr”, sagt er. Schaut er dann doch mal genauer hin, kriegt er “die Krise”. Wenn er kurz nach fünf im Depot ist und abends gegen 19 Uhr zurückkehrt, manchmal früher, meist später, kommt er auf 14 Stunden, vor Weihnachten werden es 16 Stunden. In der Woche sind das über 70 Stunden, im Monat 280 bis 300 Stunden. Er macht den Job trotzdem – nicht nur, weil es schwer ist, einen anderen zu bekommen. Es droht auch Hartz IV, was ihn zu einem Almosenempfänger degradieren würde. [ebd.]“

Dieser Paketzusteller gehört zu den über acht Millionen Menschen, die in unserem Land in prekären Beschäftigungen arbeiten. Unser Arbeitsmarkt ist gespalten: einerseits fehlen in vielen Berufen Fachkräfte und die Erwerbslosigkeit ist wieder gesunken, andererseits war der prekäre Arbeitsmarkt in Deutschland noch nie so hoch. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitet im prekären Arbeitsmarkt. Prekär bedeutet: Unsichere, schwierige Arbeitsverhältnisse, die den charakteristischen Standards der Tarifarbeitsverhältnisse unterschreiten und damit deutliche Risiken für die Arbeitenden aufweisen. Die Löhne liegen deutlich unter dem durchschnittlichen Lohn des Durchschnittseinkommens.

Prekäre Arbeit hat viele Gesichter:

Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge, geringfügig Beschäftigte, Care-Arbeit die hauptsächlich von Frauen geleistet wird und Arbeit im Niedriglohnsektor.

 

In vielen Sozialenzykliken gehen die Päpste auf die Bekämpfung der sozialen Ungerechtigkeiten ein.

So schreibt Papst Franziskus in „Fratelli tutti“: „Die Zerbrechlichkeit der weltweiten Systeme angesichts der Pandemie hat gezeigt, dass nicht alles durch den freien Markt gelöst werden kann und dass – über die Rehabilitierung einer gesunden Politik hinaus, die nicht dem Diktat der Finanzwelt unterworfen ist – wir die Menschenwürde wieder in den Mittelpunkt stellen müssen. Auf diesem Grundpfeiler müssen die sozialen Alternativen erbaut sein, die wir brauchen.

Die Prekäre Arbeit bedeutet in der Folge auch ein prekäres Leben:

-Jede Ausgabe für die Kinder muss überdacht werden, für Notzeiten kann nicht gespart werden.

-die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist oftmals schwierig

-der Sportverein, ein Kinobesuch, die Klassenfahrt

-Mit einem geringen oder unsicheren Einkommen kann man sich vieles nicht leisten – was für andere „normal“ ist.

-Man kann nicht mitreden und teilnehmen, Ausgrenzung und Angst können die Folge sein.

Zum neunzigsten Jahrestag der Enzyklika Rerum novarum, am 14. September 1981, schrieb Papst Johannes Paul II. seine Enzyklika Laborem exercens „Über die menschliche Arbeit“.

Er schreibt zum Wert der Arbeit: „Erste Grundlage für den Wert der Arbeit (ist) der Mensch selbst.“ Der Wert der Arbeit zeigt sich hier nicht zuerst darin, was und wie viel gearbeitet wurde, sondern in der Tatsache, „dass der, der sie verrichtet, Person ist.

Die Würde der Arbeit wurzelt zutiefst nicht in ihrer objektiven, sondern in ihrer subjektiven Dimension.“

Papst Franziskus greift diesen Gedanken wieder auf und spricht: Eine „Globalisierung der menschenwürdigen Arbeit“ ist angesichts der zunehmenden weltweiten Spaltung notwendiger als je zuvor.

Jede Ungerechtigkeit, die einem Menschen, der arbeitet, angetan wird, tritt die Menschenwürde mit Füßen.“ Oder um es mit den Worten des Evangeliums auszudrücken: „Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“.

Deshalb darf ein Wachstum, das weiterhin auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, auf prekärer Beschäftigung und Ausgrenzung beruht, nicht länger hingenommen werden.

Wir müssen jetzt die Chance nutzen, um die Weltwirtschaft fair und gerecht zu gestalten.  Das Herzstück dieser Weltwirtschaft muss die menschenwürdige Arbeit sein. Wir müssen Wachstum und Arbeit für alle „wertvoll“ machen!

 

So urteilen die Menschen im AT folgendermaßen:

„Du sollst einen notleidenden und armen Tagelöhner unter deinen Brüdern oder unter den Fremden, die in deinem Land innerhalb deiner Stadtbereiche wohnen, nicht ausbeuten.“ (Dtn 24,14)

„Das Recht ströme wie Wasser, / die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ (Amos 5,24)

 

Auf heute übertragen heißt dies: Prekäre Arbeit entsteht nicht zufällig, sie ist eine direkte Folge unseres ungerechten Wirtschaftssystems.

Die Ungerechtigkeiten sind in der Struktur der kapitalistischen Wirtschaftsweise „eingeschrieben“, auch die Verteilung von Reichtum,

Macht und Einfluss in unserer Gesellschaft ist nicht gerecht. Die reichen Industrieländer des Nordens leben auf Kosten der Länder im Süden unserer Erde.

Da im Kapitalismus nicht der Mensch das Maß des Möglichen und Sinnvollen ist, führt die technologische Entwicklung nicht zur Entlastung der Arbeitenden,

sondern zu einer Verdichtung und Beschleunigung von Arbeit. Es geht darum, mehr Profit für wenige zu erwirtschaften.

Für die arbeitenden Frauen und Männer steigt damit jeden Tag der Druck

sich anzupassen und sich auf ständige Veränderungen einzustellen.

Wir müssen den Wert der Arbeit neu bestimmen. „Wertvoll arbeiten“ heißt dabei:

  • die Bedürfnisse aller Menschen innerhalb der Grenzen unseres Planeten erfüllen und auch zukünftigen Generationen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.
  • produziert die Waren und Dienstleistungen, die für das Leben aller notwendig und wertvoll sind und nimmt damit Abschied von Überflüssigem und der „Wegwerfkultur“.
  • erkennt die notwendigen Grenzen und Begrenzungen an, der Mensch ist dabei der Maßstab.

 

Auf den Punkt gebracht müssen wir sagen:

Prekäre Arbeit grenzt aus durch schlechte Entlohnung, fehlende Rechte, ungenügende Mitbestimmungsmöglichkeiten und mangelnde Teilhabe an der Gesellschaft.

Prekäre Arbeitsverhältnisse sind unsolidarisch, ungerecht, menschenunwürdig und nicht nachhaltig. Sie sind unchristlich!

Die KAB bewertet alle Einzelmaßnahmen auch auf dem Hintergrund, ob sie eine kapitalistische Wirtschaftsordnung überwinden, die alle Tätigkeit nur nach der finanziellen Rendite bewertet.

Unsere Anstrengungen müssen zu Maßnahmen, die eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft zum Ziel hat, d.h. wir müssen den Wert der Arbeit neu bestimmen.

„Wertvoll arbeiten“ heißt dabei:

  • sinnvoll, verlässlich, beständig und gut für alle.
  • den einzelnen, die Gesellschaft und die Natur gleichermaßen im Blick.
  • wertvoll für das Gemeinwohl und den sozialen Zusammenhalt.
  • Arbeit muss von Kooperation statt Wettbewerb, von Sorge statt Gleichgültigkeit bestimmt sein.
  • Arbeit verbraucht nicht mehr natürliche Ressourcen als regenerativ erzeugt werden können.

Die Aussage des hl. Paulus im 1. Timotheus Brief hat bis heute nichts an seiner Aktualität verloren: „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ (1. Tim 5,18).

Der Lohn für geleistete Arbeit muss zu einem gerechten Leben reichen und der Altersarmut vorbeugen.

Als Christen stehen wir mittendrin in diesen gesellschaftlichen Spannungen. Ja, wir sind Teil von ihnen. Zu uns gehören die Armen, ebenso wie die Reichen. Welchen Impuls können wir in diese spannungsvolle Situation hineingeben? Welche Orientierung geben uns unser Glaube und das Grundgebot der Nächstenliebe?

Paulus hat in seinem Brief an die Galater das Liebesgebot in ein prägnantes Bild gebracht. Er schreibt: „Einer trage der anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 2,6).

Es geht um eine wechselseitige Unterstützung. Nicht einer trägt allein alles, jeder trägt etwas, und zwar die Last des anderen. Das Bild des Lastentragens kommt in der politischen Debatte auch vor. Da heißt es manchmal, dass die starken Schultern mehr tragen müssen als die schwachen. Es meint, dass Super Reiche als stark gelten und mehr tragen sollen als Schwache und Arme. Das ist eine sinnvolle Regel, daher werden schon heute hohe Einkommen auch mehr besteuert.

Es braucht Maßnahmen, dass prekäre Arbeitsbedingungen abgebaut werden. Der Mindestlohn ist eine gute erste Entscheidung bei aller Problematik

Es gehört zu den Grundeinsichten der Sozialen Marktwirtschaft, dass Arbeit keine Ware wie jede andere ist und nicht einfach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage überlassen werden darf. Die Arbeit und die Arbeitenden haben ihren Wert und ihre Würde. Dieser Würde wird es am meisten entsprochen, wenn ihre Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte gestärkt werden.

„Einer trage der anderen Last“. Das so formulierte Liebesgebot des Paulus zeigt uns: Jeder trägt etwas, wir sind alle aufeinander angewiesen. Und jede Arbeit hat ihren Wert. Diese Wertschätzung muss sich auch in verbesserten Arbeitsbedingungen für Menschen im prekären Arbeitsmarkt auswirken und dafür setzt sich die KAB ein. Amen

Diakon Bernd- Günter Barwitzki, Präses der KAB in Remshalden

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