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Predigt unseres Präses Bernd-Günter Barwitzki zum Solidaritätssonntag 3. März 2024

„Einer trage des anderen Last“

 

Liebe Mitchristen,

heute möchte ich mit Ihnen über die Bedeutung des Tragens der Lasten anderer sprechen oder anders ausgedrückt über Solidarität, eine Tugend, die in der heutigen Welt von elementarer Bedeutung ist.

Beginnen möchte ich mit der Erkenntnis eines Rabbis:

Ein wohlhabender und selbstsüchtiger Mann besuchte einen weisen Rabbiner. Der Rabbi ging mit ihm zum Fenster und fragte ihn: „Was siehst du da draußen?“ „Menschen“, antwortete ihm der Selbstsüchtige. Darauf führte er ihn zu einem Spiegel. „Was siehst du nun?“ fragte der Rabbi. „Ich sehe mich selbst“, antwortete der Gefragte. Da sprach der Rabbi: „Merke auf – das Fenster ist aus Glas, und der Spiegel ist aus Glas. Was den Spiegel vom Fenster unterscheidet, ist nur die dünne Silberschicht auf seiner Rückseite. Das heißt: Kaum kommt etwas Silber hinzu, so hörst du auf, andere Menschen zu sehen, und siehst nur noch dich selbst.“

(Vgl. Sigismund v. Radecki, Der Spiegel, in: ABC des Lachens, rororo Taschenbuch, Band 34/85, Reinbeck bei Hamburg 1970, S. 98).

Ja, liebe Gemeinde,

Christsein könnte so schön sein. Wenn da nicht die anderen wären – die Menschen, mit denen wir zusammenleben: Der streitsüchtige Nachbar, mit dem wir Wand an Wand auf der Etage leben; der Chef, der aus jeder Kleinigkeit eine große Geschichte macht oder die anderen Gemeindemitglieder, die sich ständig in den Vordergrund zu spielen wissen und ich selbst vermeintlich zu kurz komme.

Die Aufforderung des Apostels kommt nicht von ungefähr: Wenn wir Christen sein wollen, dann müssen wir auch als Christen leben. Nicht die Theorie, sondern die Praxis ist der Ernstfall. Und die Praxis führt uns nicht in Wunschwelten. Sie fordert uns dort heraus, wo wir gerade sind: im kleinkarierten, oft lähmenden Alltag. Dort ist unser Bewährungsfeld – im Menschlichen, meist allzu Menschlichen.

„Einer trage der anderen Last“ heißt es bei Paulus. Dabei ist nicht an den „großen Rucksack“ gedacht, den wir dem anderen auf der Wanderung abnehmen. Gemeint sind alle Dinge, die belasten, nicht zuletzt seelisch belasten, z. B.  Schicksalsschläge oder Mobbing, die er oder sie zu verkraften haben, die oftmals zu überfordern drohen und bitter machen. Gemeint sind aber auch Schwächen und gerade die ärgerlichen Schwächen, die das Zusammenleben so mühsam machen. Es gibt Menschen, die reizen uns mit ihrer Selbstbezogenheit, mit ihrer Aufdringlichkeit, mit ihrer wenig einfühlsamen Beschränktheit. Solche Menschen machen uns oftmals wütend und ratlos.

Im Volksmund sagen wir manchmal: „Jeder hat sein Päckchen zu tragen.“ Und das ist wahr. Es gibt kein menschliches Leben ohne Nöte und Belastungen. Aber der Apostel Paulus lädt uns ein, damit anders umzugehen, nicht die eigene Last einsam zu tragen, sondern sich gegenseitig zu helfen, die Lasten zu tragen. In der von Jesus Christus bestimmten Gemeinde soll ein anderes Grundgesetz gelten: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal. 6, 2). In der christlichen Gemeinde soll es nicht lauter Einzelkämpfer geben, sondern Menschen, die sich mit dem Leben der anderen verflochten sehen, die auf die anderen bezogen und ohne sie unvollkommen dastehen. Erst wenn wir uns auf diese ungewöhnliche Lebensweise einlassen, leben wir den Willen Gottes, wie er durch Jesus Christus ein für alle Mal deutlich geworden ist. Im freiwilligen Übernehmen der Last der anderen begegnet uns ein anderer Geist. Jesus selbst hat aus diesem Geist gelebt und möchte ihn an uns weitergeben.

 

Schauen wir uns das Beispiel aus dem heutigen Evangelium an: Das Ganze fängt damit an, dass Menschen hier zusammenhalten. Ohne die Freunde des Gelähmten würde in dieser Geschichte nichts passieren. Sie schleppen den Kranken zu Jesus.

Glaube hat immer etwas mit Gemeinschaft zu tun. Allein im stillen Kämmerlein kann Vertrauen auf Gott, kann Glaube und Zuversicht nicht wachsen. Zum Glauben gehört dazu, dass man ihn mit anderen teilt. Glauben teilen heißt, andere mit seiner Zuversicht anstecken, gemeinsam Träume und Visionen entwickeln, miteinander Zweifel auszuhalten und sich gegenseitig ermutigen. Wer Glauben teilt, bekommt mehr. In unserer Erzählung passiert etwas, weil die Männer ihren Glauben teilen und gemeinsame Sache machen.

Vier der Männer schleppen und einer wird getragen. Glaube ist etwas Aktives. Glauben heißt anpacken und den, dem es miserabel geht, mitschleppen. Einer trage des andern Last, dann werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Besser als in dieser Geschichte könnte davon nicht erzählt werden. Zum Glauben gehört es, dass wir einander tragen und stützen und helfen. Oder eben auch den Rollstuhl schieben. Glaube ist immer aktiv.

Die vier schleppen ihren Freund voll Hoffnung auf Heilung zu dem Haus, in dem Jesus redet. Doch es ist voll. Sie kommen nicht rein. Also steigen sie über die damals übliche Außentreppe auf das Flachdach und hauen ein Loch ins Dach. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen!

Und heute?

Jetzt sind wir beim heutigen Solidaritätssonntag. Ja, wir alle möchten solidarisch sein. Mit anderen Christen möchten wir nicht hinwegschauen über die Not, in die Menschen geraten. Ohren und Augen nicht verschließen vor denen, die ohne die Hilfe anderer nicht mehr auskommen und ihr Leben bedroht sehen. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen. Bei uns, in Uganda, in Guatemala, ja überall auf dieser Welt.

Was Gott will, ist eindeutig und klar: „Recht für die Unterdrückten und Waisen, die Gebeugten und Bedürftigen“. Nicht Mitleid, herablassend warme Worte, sondern Recht! Ein Recht, das sie schützt vor der blinden Selbstsucht, die nicht sehen will oder nicht mehr sehen kann, wie Menschen leben. Sie will sich von Forderungen nach Schutz für die Schutzlosen und nach gerechter Verteilung der Güter nicht stören lassen.

 

Solidarität bedeutet, die Lasten anderer mitzutragen, Ihre Freuden zu teilen und in schwierigen Zeiten beizustehen. Es bedeutet einander zu ermutigen, zu trösten und zu stärken. Solidarität ist Ausdruck der Nächstenliebe, die uns als Christen dazu aufruft, uns füreinander einzusetzen und einander zu unterstützen.

In einer Welt, die oft von Egoismus und Gleichgültigkeit geprägt ist, ist es unsere Aufgabe, als Christen ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Wir sollten uns nicht nur um unser eigenes Wohl kümmern, sondern auch um das Wohl unserer Mitmenschen. Indem wir solidarisch handeln, können wir dazu beitragen, die Welt ein klein wenig zu einem besseren Ort zu machen und Gottes Liebe unter den Menschen zu verbreiten.

Lasst uns also nicht nur heute, am Solidaritätssonntag, sondern immer in Solidarität miteinander leben, einander helfen und füreinander da sein. Möge die Tugend der Solidarität in unseren Herzen wachsen und uns dazu inspirieren, Gottes Liebe in die Welt zu tragen.

 

Mit dem Aschermittwoch sind wir in die diesjährige Fastenzeit gestartet. Mit dem Wort ‚Fastenzeit‘ definieren wir die Zeit im Kirchenjahr, die wir am Mittwoch begonnen haben, mit Verzicht. Der ehemalige Abt von Einsiedeln, Martin Werlen schreibt: „Aber Verzicht steht nicht im Zentrum. Im Zentrum steht vielmehr die Sehnsucht nach Gott.“ Diese Sehnsucht nach Gott drückt sich in erster Linie in der Liebe aus, besonders in der Liebe zu den Menschen in Not. In diesen Heiligen Vierzig Tagen will Gott unsere Augen, Ohren und Herzen für die Menschen in Not öffnen. Dazu soll auch jeder Verzicht führen. Auch das Fasten. Amen

 

 

Präses Bernd-Günter Barwitzki,ofs

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